Meine Eltern sind nicht ganz normal

Also mit Eltern ist das eben nicht wie mit Amazon. Da gibt’s kein Aussuchen. Du hast, was geliefert wurde. Und zurückgeben geht gar nicht. (Noch nicht mal mit kleinen Brüdern geht das. Da hab ich auch lange mit meinen Eltern drüber geredet. Hoffnungslos)

Jedenfalls hast du die Eltern, die du hast.

Und meine sind ein bisschen komisch.

Vor unserem Umzug auf die Burg waren sie sogar noch schlimmer.

Nein, eigentlich ganz furchtbar. Ich hab es ihnen auch immer wieder gesagt Dass man mit Kindern nicht so umgehen kann. Das ich bestimmt später mal total psychisch kaputt werde, wenn sie nicht endlich machen, was ich will. Aber sie hörten nicht auf mich.

Nur ein Beispiel: Die Mamas von anderen Kindern wollen, dass ihre Kinder hübsch aussehen. Die gehen mit ihren Töchtern shoppen oder bestellen was im Internet. Aber ich krieg immer nur Sachen, die schon jemand anders hatte. Die sind schon nett, aber das ist nicht das gleiche. Ich hab meine Mutter gewarnt, dass ich bestimmt bald gemobbt werde. Ob sie denn das will, hab ich sie gefragt. Aber sie hat nur gelacht.

Ist das eine Art mit einem leidenden Kind umzugehen?

Darum bin ich zu meinem Papa gegangen.

Ich habe ihm erklärt, dass wo er doch so viel im Internet arbeitet, er das viel besser versteht. Nämlich dass ich besser ein Smartphone brauche, damit ich nicht sozial ausgeschlossen bin.

„Nur über meine Leiche“, hat er gesagt.

Es is ja nett, dass ich sein Smartphone erben darf. Aber ich will ja gar nicht, dass er stirbt.

Ich hab ihm gesagt, dass alle anderen Eltern ihren Kindern Smartphones erlauben. Und wenn er an Demokratie glaubt, dann weiß er doch, dass die Mehrheit recht hat.

Das war sehr klug von mir, dachte ich mir. Weil er nämlich über so Zeug wie Demokratie auf Substack schreibt. Das ist im Internet, da wo die klugen Leute sind.

Aber statt dass er von meinem Argument begeistert ist, hat er geseufzt. Und zur Mama gerufen: „Du musst Kinderbücher zur Elitentheorie veröffentlichen.“

Die Mama war im Nebenzimmer und hat gesagt: „Aber sicher Liebling. Sowas verkauft sich bestimmt wie geschnitten Brot.“

Papa hat nix gesagt, aber er hat sie bestimmt gehört. Da hab ich ihm ein Bussi gegeben. „Nicht traurig sein. Mit mir macht sie das auch immer. Sie lacht mich aus, wenn ich ernsthaft mit ihr reden will.“

Er hat wieder nix gesagt, aber sich sehr über das Bussi gefreut. Weil er nämlich ganz breit gegrinst hat, als ob er in sich drin noch viel mehr lachen würde. Da hab ich die Chance genutzt und gesagt, dass ich wirklich ein Smartphone brauche. Aber er hat nur noch mehr gegrinst und mir ein Bussi zurückgegeben.

Das war ja nett. Aber ins Internet komm ich damit nicht.

Ich hab nur ein Tasten-Handy, aber selbst das funktioniert nicht richtig. Was auch die Schuld von meinen Eltern ist. Weil sie nämlich nicht kommen, wenn ich sie anrufe. Wenn die anderen Kinder ihr Sportzeug vergessen, dann rufen sie einfach ihre Mama an. Und die Mama kommt dann und bringt ihre Sachen. Wie sich das halt gehört.

Ich hab das einmal mit meiner Mama versucht. Aber sie hat sich ganz unmöglich benommen. Dabei sollte sie mir nur meine Sportsachen in die Schule bringen. Ich hab ihr gesagt, dass der Lehrer mich sonst bestimmt schimpft.

„Gut“, hat die Mama gesagt „wenigstens ein Lehrer, der noch normal ist.“

„Aber die anderen Mädchen werden mich auslachen“, hab ich gejammert. Das musste sie doch verstehen!

„Dann sind sie blöde Kühe“, sagte meine Mama. „Da kannst du gleich erkennen, mit welchen Mädchen du gar nicht befreundet sein willst.“

Da hab ich zum letzten Mittel gegriffen und gesagt: „Da kriege ich eine schlechte Note.“ Da muss eine Mama doch reagieren, oder?

Aber Pustekuchen. Sie hat gesagt: „Von einer Sechs bleibt man noch lange nicht sitzen. Musst du dich halt nächstes Mal mehr anstrengen.“

Und das war’s. So geht meine Mutter mit mir um, wenn ich eine schlimme Krise habe! Ich glaube, kein Kind musste je so leiden wie ich.

Sie hat dann noch gesagt, dass sie mittags Fleischpflanzerl mit Kartoffelpüree macht. Da hab ich gewusst, dass es ihr doch ein bisschen leid tut, dass sie so grausam zu mir ist. Weil Fleischpflanzerl mein Lieblingsessen ist.

Darum wollte ich ihr am Nachmittag noch eine Chance geben. Ich hab ihr erzählt, wie schlimm es war, dass sie mir meine Sportsachen nicht gebracht hat. Wo die anderen Mütter – also die, die ihre Kinder lieb haben – das immer machen, wenn die mal was vergessen.

Aber es hat nicht funktioniert. Sie hat mich schon wieder ausgelacht. Es täte ihr furchtbar leid, dass ich so eine Rabenmutter hätte und daher ganz ohne Dienstboten aufwachsen müsste.

Ich weiß noch nicht mal genau, was Dienstboten sind. Ich kenn nur den Postboten, aber der kann kein Deutsch. Aber gefragt habe ich nicht, weil ich wirklich in meinen Gefühlen verletzt war. Früher wäre ich nur sauer gewesen. Aber heute weiß ich, wie schlimm meine Eltern wirklich sind.

Später am Nachmittag kam es dann zum furchtbaren Höhepunkt.

Mir war langweilig.

Sooooo langweilig.

Wenn ich bei einer Freundin bin, dann haben die Mamas immer sofort ganz viele Vorschläge, was Kinder tun können, damit ihnen nicht langweilig ist.

Dann muss man nur 10 mal „nein“ sagen und dann strengen die sich richtig an und kommen mit einem richtig guten Vorschlag. Wenn man ganz viel jammert, dann fahren sie sogar irgendwo hin und kaufen einem was.

Aber mit meiner Mama ist alles hoffnungslos.

Dabei hab ich ihr gesagt, dass mir soooo langweilig ist. Und wie sehr ich darunter leide.

Aber sie hat nur gesagt: „Hast du ein Glück. Wenn der Kopf leer ist, ist Platz für neue Ideen.“

Da hab ich ihr gesagt, dass ich das echt schlecht finde, dass sie sich so wenig um mein Wohlergehen kümmert. Wohlergehen ist ein gutes Wort, das sollte doch wirken.

Aber nein.

Mama hat gesagt: „Mein Schatz, ich würde mit einem Säbelzahntiger ringen, um dich zu beschützen. Aber Langeweile ist nicht gefährlich. Damit musst du selber klar kommen.“

Diese Frau kennt überhaupt kein Mitleid. Und Verstand hat sie auch keinen. Denn wenn wir einen Säbelzahntiger hätten, wäre mir bestimmt nicht langweilig.

Wir haben uns dann ein bisschen angeschrien und ich bin aus dem Zimmer gelaufen und hab die Tür zugeknallt. Dann hab ich mich ins Bett geworfen und geheult. Langweilig war’s mir dann zwar nimmer, aber das ist auch kein Fortschritt.

Am Abend haben sich meine Eltern dann wieder über die Burg unterhalten. Ich hab mein Ohr ans Schlüsselloch gedrückt, damit ich nix verpass. Da geht’s schließlich um die Zukunft.

„Wie soll man Kinder erziehen, wenn man gleichzeitig alle anderen Kinder und alle anderen Eltern und eigentlich die ganze Welt miterziehen muss?“, hat meine Mama gesagt und geseufzt.

Bald danach sind wir dann auf die Burg gezogen. Da sind alle Eltern so komisch wie meine. Darum fällt das weniger auf.

Zum Glück sind da so viele Kinder, dass mir gar nicht mehr langweilig ist.

Und wenn ich so nachdenke, dann finde ich meine Eltern gar nicht mehr so furchtbar. Außerdem kann ich sie ja wirklich nicht umtauschen, also bringt es nix, wenn ich mich aufrege.

Das habe ich dann später auch mal meiner Mama gesagt.

Sie hat gelacht, aber diesmal, weil sie sich gefreut hat. „Das ist sehr weise von dir“, hat sie gesagt und mir ein Bussi gegeben. „Dann war Sophia also doch der richtige Name für dich“, hat sie gesagt.

Und das hab ich dann wieder nicht verstanden. Ach, es ist schon ein Kreuz mit den Erwachsenen!


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